1998 - 40 Jahre SAR

Suchen und Retten: Name und Auftrag zugleich

Jens Nemeyer

Bereits aus einer Entfernung von mehr als 30 Nautischen Meilen (ca. 55 km) konnte die Hubschrauberbesatzung den Lichtschein in der ansonsten stockfinsteren Nacht am Horizont erblicken. Was zunächst als die Lichter der dänischen Hafenstadt Esbjerg angenommen wurde, entpuppte sich wenige Minuten später als der Grund, weshalb die SAR-Besatzung der Außenstelle Helgoland des Marinefliegergeschwaders 5 um 00:40 Uhr des 26. Oktobers 1998 von der SAR-Leitstelle der Marine im Flottenkommando Glücksburg alarmiert worden war: Vor ihnen lag in geradezu gespenstischer Art der lichterloh brennende italienische Holzfrachter "Pallas".

Vor Ort befanden sich bereits ein Rettungshubschrauber der dänischen Luftwaffe, ebenso ein dänischer Rettungskreuzer. Beide hatten bisher vergeblich versucht, die siebzehnköpfige Besatzung vom Schiff zu bergen. Jegliche Versuche, die Seeleute direkt mit der Rettungswinde vom Schiff zu holen, mußten aufgegeben werden, da die Flammen den dänischen Piloten verbaten, den Hubschrauber über dem Achterschiff zu positionieren.

Nachdem auch ein Verlassen des Schiffes mittels der Rettungsinseln fehlschlug und das daraufhin besetzte Rettungsboot beim Abfieren mit Teilen der brennenden Ladung kollidierte, trieben vierzehn Seeleute in den haushohen Wellen, die die orkanartigen Winde über das gesamte Wochenende haben entstehen lassen. Zwei weitere Seeleute suchten ihre Rettung mit einem Sprung vom Schiff in das Meer. Einer der beiden wurde dabei tödlich verletzt, da er zwischen Bordwand und Rettungsboot geriet. Ein letzter Mann verblieb an Bord, zurückgehalten von der Angst, in die tobende See zu springen.

In einem gemeinsamen Vorgehen gelang es den Dänen und den deutschen Marinefliegern, die 16 Seeleute aus dem Meer zu bergen. Der siebzehnte Mann konnte erst Stunden später in einem zweiten Anflug von der Helgoländer SAR-Bereitschaft zum Sprung und damit zur Rettung motiviert werden.

Dieser Einsatz, der im Marinefliegergeschwader 5 in Kiel-Holtenau beheimateten Search and Rescue - kurz SAR - Besatzung war der wohl spektakulärste des vergangenen Jahres, dem Jahr, in dem die Kieler ihr vierzigjähriges Bestehen feiern konnten.

Angefangen hatte alles im Jahre 1958. Zwei Jahre zuvor war die noch junge Bundesrepublik Deutschland der internationalen Luftfahrtorganisation (ICAO - Chicagoer Abkommen von 1944) beigetreten. Mit diesem Abkommen war man verpflichtet, einen Rettungsdienst für Luftnotfälle im eigenen Hoheitsgebiet bereitzustellen. Da aber einerseits die für eine Schaffung eines zivilen Rettungsdienstes erforderlichen finanziellen Mittel nicht vorhanden waren und andererseits die gerade gegründete Bundeswehr ohnehin einen solchen Dienst einzurichten hatte, entschloß man sich, die Streitkräfte mit dieser Aufgabe zu betrauen.

Bereits am 1. Januar 1958 nahm der militärische SAR-Dienst in der Bundesrepublik Deutschland seinen Dienst auf. Er teilte sich in zwei Bereiche - erstens Frankfurt mit der Leitstelle in Ramstein und zweitens Bereich Hannover mit der Leitstelle ebendort.(1) Gleichzeitig stellten die Streitkräfte die notwendigen SAR-Mittel zur Verfügung.

Für den norddeutschen Küstenbereich wurden die gerade aufgestellten Marineflieger mit dieser Aufgabe betraut. So wurde mit dem Aufstellungsbefehl Nr. 73 -Marine- vom 4. Januar 1958 die Marine-Seenotstaffel in Kiel-Holtenau geschaffen. Mit der Wahl des Ortes war man einer alten Tradition gefolgt; schließlich war die Fördestadt bereits seit 1912 Heimat der Seeflieger sowie ab 1927 der paramilitärischen Fluggesellschaft SEVERA (See-Flugzeug-Versuchsabteilung)(2), die zum Teil auch Seenoteinsätze flog. So beispielsweise 1932 im Rahmen des Unterganges des Segelschulschiffes "Niobe". Erste offizielle Seenoteinsätze wurden allerdings erst ab 1939 geflogen, als die Seenotbezirksstelle Ost in Holtenau aufgestellt worden war.

Darin sieht das Marinefliegergeschwader 5 auch heute noch seine Wurzeln. Schließlich hatten die Rettungsflieger von damals aufgrund ihrer vielen Rettungen, ungeachtet der Nationalität der in Not geratenen, sowohl bei Freunden als auch Gegnern einen guten Ruf. Aus diesem Grund wurde auch das Staffelabzeichen der Seenotflieger, die Lebensrune, als Element in das heutige Geschwaderwappens übernommen.

Doch zurück zu den Gründerjahren der demokratisch legitimierten deutschen Streitkräfte.

Bereits seit Mitte 1957 befanden sich die ersten acht Offiziere und Portepeeunteroffiziere im allgäuischen Memmingen in der zwölfmonatigen Ausbildung zum Hubschrauberführer. Nach erfolgreichem Abschluß erhielten sie die Versetzung zur Marine-Seenotstaffel. Parallel dazu wurden die ersten zukünftigen Bordmechaniker geschult, zunächst aber nur als sogenannte 1. Warte bzw. Begleiter. Im Juni 1958 trafen die ersten vier der später insgesamt zehn Hubschrauber vom britischen Typ "Bristol Sycamore" in Holtenau ein. Die angehenden Bordmechaniker hatten in der Zwischenzeit die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Unterbringung der neuen Maschinen geschaffen: sie hatten die in der dafür vorgesehenen Halle lagernden Kohlen herausgekarrt, die Fenster verglast und Heizöfen installiert.

Wenn es ein Wort dafür gibt, diese Anfangsphase zu umschreiben, dann ist es "Improvisation". Schleppfahrzeuge für die Hubschrauber gab es nicht, so mußte ein alter DEMAG-Kran für diese Aufgabe herangezogen werden. Aber auch Werkzeug war nicht in ausreichender Anzahl und Ausführung vorhanden, die Bordmechaniker halfen mit ihren eigenen Beständen aus. Darüber hinaus waren die "Sycamores" ohne Funkgeräte ausgeliefert worden. Da diese Geräte aber für den Flugbetrieb zwingend erforderlich waren, lieh man sich kurzerhand ein einzelnes ARC 34 von der Flotte aus. Ein Techniker versah jeden Hubschrauber mit einer Antenne und baute dann das einzige vorhandene Funkgerät jeweils in die Maschine ein, die gerade fliegen sollte.

Das letztgenannte Manko konnte ab Ende 1958 behoben werden. Da die technische Komponente in Holtenau noch in den Kinderschuhen steckte, wurden die Hubschrauber sukzessiv an die "Luther-Werke" in Braunschweig abgegeben, um dort von lizensiertem Personal die fälligen Inspektionen durchführen zu lassen und die Maschinen mit Funkgeräten auszurüsten. Die entsprechenden Techniker waren von der britischen Herstellerfirma ausgebildet worden und "brachten Rüstzeug und Fachkenntnisse mit, die dazu nötig sind, eine hochempfindliche Flugmaschine kunstgerecht zu behandeln"(3).

Am 1. Juli 1958 erfolgte die offizielle Indienststellung der Marine-Seenotstaffel. An diesem Tag konnte der Luftrettungsdienst mit den "Sycamores" aufgenommen werden. Anforderungen nach einem SAR-Hubschrauber trafen entweder über Hannover oder auf direktem Wege in der Staffel ein, und wurden hier fallweise hinsichtlich der Durchführung entschieden.

Mit der Aufstellung der 1. Marinefliegergruppe in Schleswig/Jagel, ausgerüstet mit 12 Strahlflugzeugen vom Typ "Sea Hawk", wurde ab Ende 1958 eine weitere "Sycamore" als Bereitschaftshubschrauber abgestellt. Diese befand sich wochentags als sogenannter Crash-Helicopter direkt in Schleswig, um den militärischen Jet-Flugbetrieb zu sichern.

Doch in der damaligen Konzeption beschränkte man sich nicht nur auf den Einsatz von Hubschraubern zur Durchführung des Such- und Rettungsauftrages. Vielmehr wurden der Marine-Seenotstaffel im gleichen Jahr die ersten drei von später insgesamt sieben Flugsicherungsbooten (FL-Boote) zugewiesen. Die Boote hatten eine Besatzungsstärke von 16-18 Mann und waren bei einer Einsatzverdrängung von ca. 70 Tonnen bis zu 27 Knoten (50 km/h) schnell. Insofern war die Marine-Seenotstaffel ein absolutes Unikat, gehörten doch gleichzeitig Luft-, Land-, und Seefahrzeuge zu ihrem Bestand. Doch damit nicht genug: Vor dem Hintergrund, daß die Hubschrauber aufgrund ihrer kurzen Reichweite und der fehlenden Navigationshilfsmittel lediglich über Land und im Küstenvorfeld eingesetzt werden konnten und die FL-Boote für die Seegebiete außerhalb der Hubschrauberreichweite insgesamt zu langsam waren, um bei Seenot schnell Hilfe zu leisten, wurden fünf Amphibienflugzeuge vom Typ "Grumman Albatros" beschafft. Diese wurden in Amerika gekauft und von amerikanischen Besatzungen nach Kiel überführt, wo sie im Frühjahr 1959 eintrafen. Zur gleichen Zeit wurden die angehenden Besatzungen im amerikanischen Bundesstaat Alabama ausgebildet. Der erste Flug mit einer deutschen Besatzung konnte im Juni 1959 durchgeführt werden. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von knapp 400 km/h und einer maximalen Flugdauer von 20 Stunden war man mit der "Albatros" in der Lage, die gesamten westdeutschen Hoheitsgewässer abzudecken. Die "Albatros" war ausgestattet mit Funk- und Peilgeräten sowie einem Radar. Wasserstarts und -landungen waren bei maximal Windstärke 6 und Seegang 3 (~ 1,5 m Wellenhöhe) möglich.

Die Einsatzgrundsätze der Marine-Seenotstaffel sahen bei Seenotfällen den Einsatz der "Albatros" als primäres Such- bzw. Ortungsmittel vor. War die Unglücksstelle lokalisiert, führte das Amphibienflugzeug eine Wasserlandung durch, vorausgesetzt die Wetterbedingungen ließen dieses zu. Andernfalls dirigierte die "Albatros" andere Rettungsmittel, nicht nur die "Sycamores" oder die FL-Boote sondern auch die Rettungskreuzer der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS), zum Unglücksort.

Ihre erste Bewährungsprobe hatte die "Albatros" bereits im November 1959, als ein britisches Strahlflugzeug vom Typ "Hawker Hunter" über der Nordsee verloren ging. Trotz der schlechten Wetterlage wurde ein Blindstart vom Wasser aus durchgeführt, da vermutet wurde, daß der Pilot noch am Leben sei.(4) Die nachfolgende "größte Suchaktion der Nachkriegszeit"(5) mußte allerdings nach zwei Tagen aufgrund der Wetterlage erfolglos aufgegeben werden.

Wenige Wochen zuvor erfolgte die Umbennung der Staffel in Marine-Dienst-und Seenotgruppe. Dieser Schritt war erforderlich geworden, nachdem der Flugzeugbestand der Holtenauer Marineflieger um die Verbindungsflugzeuge "Pembroke" und "Dornier Do 27" sowie dem Verbindungshubschrauber "Skeeter" erweitert und der Transport von Personal und Material mit in das Aufgabenheft der Staffel geschrieben worden waren.

Ebenso entwickelte sich das SAR-Wesen stetig weiter. Vor dem Hintergrund, daß in extremen Wintern die Versorgung der nordfriesischen Inseln und Halligen durch möglichen Eisgang im Wattenmeer zum Erliegen kommen kann, trafen sich 1959 Vertreter der Husumer Kreisverwaltung mit der Seenotstaffel, um einen Notfallplan für diesen möglichen Notstand zu entwickeln. Zu diesem Zweck wurden entlang der nordfriesischen Küste Landeplätze für die Hubschrauber identifiziert und vermerkt. Mit diesem Plan, der den Namen "Eisnot" hatte, war der Grundstock für die Erweiterung des Einsatzgebietes der Hubschrauber gelegt. Diverse Hilfs- und Rettungsflüge zu den Inseln und Halligen führten schließlich im April 1961 zu der Stationierung einer "Sycamore" in Husum und der Einführung eines Bereitschaftsdienstes bei bestimmten Wetterlagen auch an Sonn- und Feiertagen. Bereits vorher wurden zwei FL-Boote nach List auf Sylt verlegt, um den militärischen Flugbetrieb auf dem Schießübungsgebiet am Lister Ellenbogen zu sichern.

Als die Royal Air Force im Oktober 1961 den Flugplatz von Westerland auf Sylt räumte, eröffnete der mittlerweile zum Marine-Dienst- und Seenotgeschwader umbenannte Verband hier die erste Außenstelle. Ausgestattet mit einer eigenen Technik- und Unterstützungskomponente, war man in der Lage nahezu autark zu arbeiten.

Daß man in diesen ersten Jahren bereits ein effektives Luftrettungsnetz aufgebaut hatte, wurde im Winter 1962/63 unter Beweis gestellt. Als der starke Eisgang die Verbindung zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln unterbrach, rief der zuständige Husumer Landrat den Plan "Eisnot" aus. In der folgenden Zeit vom 15. Januar bis zum 8 März transportierten die Hubschrauber der Seenotstaffel insgesamt 22.800 kg Lebensmittel und Medikamente, 13.400 kg Brief- und Paketpost sowie 16 Personen zu den Inseln bzw. 25 Personen von den Inseln zu Krankenhäusern auf dem Festland.(6)

Mit den wachsenden Aufgaben und dem ständig vergrößerten Einsatzgebiet erwies sich die "Sycamore" in ihrer Einsatzfähigkeit als nicht mehr ausreichend. So wurden ab März 1963 die leistungsstärkeren Hubschrauber vom Typ "Sikorsky S 58", NATO-Bezeichnung H 34, eingeführt. Da dieses Hubschraubermuster bereits seit einigen Jahren bei den Heeresfliegern eingesetzt war, zeichnete sich die Einführung bei der Marine bereits lange vorher ab. So ist auch zu erklären, warum die ersten Marine-Hubschrauberführer schon ab 1959 die Ausbildung auf der H 34 erhielten. Bis zur Einführung in Holtenau wurden die ausgebildeten Piloten bei den Heeresfliegern zwischenverwendet. Insgesamt erhielt das Marinefliegergeschwader 5, dieser Name war inzwischen ab Oktober 1963 die offizielle Bezeichnung für die Holtenauer Marineflieger, 26 Maschinen vom Typ H 34(7).

Mit der Umrüstung der beiden Jet-Verbände auf das Strahlflugzeug F-104 "Starfighter" ( MFG 1 ab November 63 und MFG 2 ab März 65) und den damit verbundenen Schwierigkeiten, erfuhr das SAR-Einsatzkonzept eine grundlegende Überarbeitung. Bis zur Eröffnung der neuen SAR-Außenstelle in Borkum im Januar 1965, war eine H 34 als Bereitschaftshubschrauber in Nordholz, das zu dem Zeitpunkt noch Heimat des MFG 2 war, stationiert.

Somit standen mit den SAR-Kommandos in Westerland und Borkum zwei H 34 für den Nordseebereich, eine "Sycamore" in Husum für die nordfriesischen Inseln und Halligen, eine "Albatros" sowie eine H 34 oder eine "Sycamore" in Kiel-Holtenau ständig Luftfahrzeuge des MFG 5 als sogenannte SAR-Einsatzmittel 1. Grades für den Such- und Rettungsdienst zur Verfügung.(8)

Darüber hinaus erwuchs, bedingt durch die mit dem SAR-Dienst über See verbundenen besonderen Problemstellungen(9), die Forderung nach einer Leitstelle mit maritimer Expertise. So wurde im Oktober 1963 zunächst die SAR-Unterleitstelle in Holtenau aufgestellt, die am 12.12.67 in die SAR-Leitstelle im Flottenkommando in Glücksburg bei Flensburg aufging. Rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr besetzt, hat das RCC Glücksburg (Rescue Coordination Center) den Auftrag, den Einsatz aller bereitgestellten Kräfte mit zivilen Behörden und Organisationen sowie benachbarten SAR-Leitstellen zu koordinieren und die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mit ihrer Zentrale in der Durchführung des SAR-Dienstes bei Seenotfällen zu unterstützen. Dabei ist das RCC Glücksburg im Operationsbereich für die Einleitung, Durchführung und Abschluß von SAR-Maßnahmen verantwortlich.(10) Mit der Etablierung der Leitstelle begann auch die Dokumentation der tatsächlich ausgeführten Einsätze.(11)

Doch zurück zum Marinefliegergeschwader 5. Mit der steigenden Zahl der zulaufenden H 34, wurde die "Sycamore" bis 1968 sukzessiv ausgemustert. Damit wurde die H 34 mehr und mehr zum Rückgrat des SAR-Dienstes im norddeutschen Raum. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, daß bereits 1966 die Gerätelage durch die Störanfälligkeit der B-171 und durch Korrosionsschäden der "Albatros" angespannt war.(12)

In ihrer zwölfjährigen Dienstzeit im Marinefliegergeschwader 5 meisterten die H 34 eine große Anzahl an schwierigen und zum Teil ungewöhnlichen SAR-Einsätzen. Stellvertretend seien hier einige aufgeführt:

· Bei Nordweststurm läuft ein griechischer Frachter vor Terschelling auf Grund und droht auseinanderzubrechen. Trotz widriger Wetterverhältnisse gelingt es der Besatzung, in zwei Flügen 15 Seeleute zu bergen.

· Im Oktober 1966 stürzt ein Starfighter in die Nordsee. Bereits nach 29 Minuten kann die von Husum aus eingesetzte Besatzung mit ihrer H 34 den Piloten an Bord nehmen.

· Im September 1970 erkranken 4 Lehrer und 34 Kinder auf der Insel Amrum an einer lebensgefährlichen Lebensmittelsvergiftung. Innerhalb kürzester Zeit sind drei Hubschrauber vor Ort, um alle Personen aufzunehmen und in die umliegenden Krankenhäuser zu fliegen. Dadurch konnten alle gerettet werden.

Aber nicht jedesmal, wenn die Besatzungen alarmiert wurden, kam es zu solch spektakulären Flügen. Manchmal waren auch Fehlalarme zu verzeichnen. So im März 1969 als ein Zivilflugzeug meldete, ein mit 15 Insassen besetztes Rettungsboot in der Nähe des Kieler Leuchtturmes gesichtet zu haben. Der Hubschrauber konnte das Rettungsboot auf Anhieb finden. Die "in Seenot befindlichen" freuten sich über den Besuch des Hubschraubers und winkten fröhlich: Es war die pullende Kutterbesatzung des Segelschulschiffes "Gorch Fock"!

Die H 34 erfreute sich bei den Besatzungen großer Beliebtheit. Sie galt als äußerst robust und von ihren Flugeigenschaften her als sehr gutmütig und einfach in der Handhabung. Dieser positiven Einschätzung konnte auch der bisher schwerste Schicksalsschlag des Marinefliegergeschwaders 5 kein Abbruch leisten: Während eines Routinefluges stürzte am 16. März 1967 eine H 34 der Westerländer Außenstelle westlich von Amrum in die Nordsee. Trotz intensiver Bemühungen und einer groß angelegten Suchaktion mußte man den Tod aller vier Kameraden hinnehmen.(13)

Anfang der siebziger Jahre vollzog sich der nächste Generationenwechsel bei den Luftfahrzeugmustern des Marinefliegergeschwaders 5. Zunächst wurde im September 1971 die letzte "Albatros" außer Dienst gestellt. Wenige Jahre später folgte die H 34. Sie wurde durch insgesamt 22 in Großbritannien in Lizenz hergestellte Hubschrauber vom Typ Seaking Mk41 abgelöst. Ursprünglich war die Beschaffung von 27 Bell UH-1D geplant, doch Vergleichsuntersuchungen hatten ergeben, daß damit nicht die erwarteten Vorteile erreicht werden würden(14), schließlich sollte ein Hubschraubertyp eingeführt werden, der die SAR-Aufgaben aller bisherigen Muster allein übernehmen kann.

Nachdem die letzte H 34 an das Deutsche Museum in München überführt wurde, übernahm am 1. Juli 1975 mit dem Seaking der damals modernste Hubschrauber der Welt(15) den Flugbetrieb im Such- und Rettungsdienst im Zuständigkeitsbereich der SAR-Leitstelle Glücksburg.

Bei einem Abfluggewicht von über 9 Tonnen, einer Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h und einer maximalen Flugzeit von 5:30 Stunden stellten sie geradezu einen Quantensprung im Vergleich zur H 34 dar. Ausgestattet mit einem Radargerät, einer Avionik, die Blindflugbetrieb zuläßt und einer Flugregelanlage (eine Art Autopilot), die den Hubschrauber über See in einen automatischen Schwebeflug bringt, sind sie die Seenotrettungsmittel schlechthin. Geflogen werden die Seakings von einer vierköpfigen Besatzung: zwei Piloten, einem Luftfahrzeugoperationsoffizier (früher SAR-Operationsoffizier) und einem zum Luftretter ausgebildeten Bordmechaniker. In der SAR-Rolle ausgestattet mit Beatmungsgerät, Defibrillator und Kardioskop, kann die Seaking bis zu 6 Tragen oder 18 sitzende Passagiere oder aber auch 2 Inkubatoren aufnehmen.

Beschafft wurden die "Seekönige" bereits zwei Jahre zuvor. Doch dienten sie zunächst der Ausbildung der angehenden Besatzungen in der Foreign Training Unit der Royal Naval Air Station in Culdrose, Großbritannien. Hier konnten sie bereits ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, als ein Verbund von vier Seakings, darunter zwei deutsche Hubschrauber mit deutsch-britischer Besatzung, bei extremen Wetterbedingungen im Frühjahr 1974 eine schwierige Rettungsaktion vor der Küste Cornwalls meisterten.

Seither haben die Holtenauer SAR-Flieger in einer Vielzahl von zum Teil sehr spektakulären Einsätzen gezeigt, wozu man mit dem Seaking in der Lage ist. Stellvertretend seien hier die Flüge im Zuge der Sturmflut von 1976 oder der Schneekatastrophe in Schleswig-Holstein von 1978/79 genannt. Bei der letztgenannten Notlage flogen die Besatzungen pausenlos Kranken- und Versorgungstransporte, schließlich waren ganze Landstriche komplett von der Außenwelt abgeschnitten und nur noch aus der Luft zu versorgen. Aber auch über See machten sie ihrem Namen alle Ehre. Als in der Sturmnacht vom 14. Januar 1993 die polnische Fähre "Jan Heweliusz" vor der Insel Rügen unterging, waren zwei Seakings des MFG 5 an der Rettungsaktion beteiligt. Bei völliger Dunkelheit, Windgeschwindigkeiten von bis zu 65 Knoten und sechs Meter hohen Wellen mußte man hilflos feststellen, daß die Fähre gekentert

und eine Rettung der Eingeschlossenen nicht mehr möglich war. Lediglich neun der insgesamt 54 Passagiere konnten lebend geborgen werden.(16)

Mit Einführung der Seakings wurde auch das Dislozierungskonzept mehrfach überarbeitet. Nachdem 1979 auf der Nordseeinsel Helgoland die dritte SAR-Außenstelle eingerichtet worden war, befanden sich bis zum Tag der deutschen Wiedervereinigung ständig drei Hubschrauber an 365 Tagen rund um die Uhr in Bereitschaft: jeweils ein Hubschrauber auf Borkum, einer in Westerland auf Sylt, der tagsüber nach Helgoland verlegte, und einer in Holtenau. Dabei unterliegen die Besatzungen der Verpflichtung, tagsüber innerhalb von 15 Minuten und nachts innerhalb von 60 Minuten nach Eingang einer Alarmierung in der Luft zu sein.

Als sich am 3. Oktober 1990 die deutsche Wiedervereinigung vollzog, wurde am selben Tag die vierte SAR-Außenstelle mit einem weiteren Einsatzhubschrauber auf dem Hubschrauberlandeplatz in Parow/Stralsund eingerichtet, so daß ab diesem Zeitpunkt vier Besatzungen mitsamt Hubschrauber gleichzeitig ihren Dienst versahen.

Bedingt durch das operative Erfordernis, den 1991 in die Golf-Region entsandten deutschen Minenabwehrverband "Südflanke" mit taktischem Lufttransport bzw. einer eigenen SAR-Absicherung zu unterstützen, wurden drei Seakings für die Dauer der Minenräumoperation nach Bahrain verlegt. Diese Maßnahme führte im Heimatverband zu erheblichen Einschränkungen in der Einsatzfähigkeit und vor allen Dingen in der Regenerationsausbildung der Besatzungen - eine Aufgabe, die das MFG 5 in Eigenregie durchführt -, daß eine Interimslösung für den SAR-Betrieb eingeführt werden mußte. So kam es dazu, daß nunmehr noch drei SAR-Seakings sich wochentags auf Helgoland, in Kiel und in Parow befanden und am Wochenende auf Borkum, in Westerland und in Parow.

Im Vorgriff auf die Einführung des neuen, gültigen Einsatzkonzeptes für das Marinefliegergeschwader 5 im April 1997 wurde mit dem überarbeiteten Stationierungskonzept die Anzahl der in SAR-Bereitschaft befindlichen Hubschrauber auf zwei reduziert. Seit März 1997 befinden sich jeweils für den Bereich Nordsee ein Hubschrauber auf Helgoland und für den Bereich Ostsee einer zunächst in Parow mittlerweile aber in der neu errichteten Außenstelle Rostock/Warnemünde. Ein dritter Hubschrauber wird mit entsprechender Ausrüstung als Backup - tagsüber in 60 Minuten, nachts in 180 Minuten-Bereitschaft - in Kiel vorgehalten.

Dieser Schritt war aus vielerlei Gründen erforderlich geworden. Einerseits ist das SAR-Aufkommen insgesamt in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen, die heutigen Schiffe sind sicherer geworden, Navigationshilfen wie GPS sind selbst bei kleinen Seglern Standard und außerdem hat sich im Bereich der sogenannten Sekundärtransporte eine Vielzahl von zivilen Rettungsbetreibern etabliert. Andererseits erfordert das erweiterte Aufgabenspektrum der Deutschen Marine die Verfügbarkeit von Hubschraubern sowohl für den gemeinsamen Einsatz im Verbund mit Überwasserseekriegsmitteln als auch für den taktischen Lufttransport von Bord der in Bau befindlichen Einsatzgruppenversorger. Und welcher Hubschrauber ist dafür besser geeignet als die Seaking - schließlich war sie ursprünglich als seegestützter U-Jagdhubschrauber konzipiert, und wird in dieser Rolle noch bei vielen NATO-Partnern betrieben.

Insofern wird seit nunmehr fast zwei Jahren im MFG 5 fieberhaft an der Umsetzung des neuen Einsatzkonzeptes gearbeitet. Die ersten Besatzungen haben bereits eine erweiterte Ausbildung erfahren. In diesem Kontext nahm das Geschwader auch im vergangenen Jahr mit jeweils einem Seaking an einer Einschiffung auf dem französischen Flugzeugträger "Foch" und auf dem britischen Versorgungsschiff "Olna" teil.

Eines kristallisiert sich auf jeden Fall bei den neuen Aufgaben deutlich heraus: Auch wenn viel Neuland beschritten werden mußte, ließ sich feststellen, daß die in vierzig Jahren Such- und Rettungsdienst erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten eine hervorragende Grundlage bildeten, ohne die die zügige Umsetzung nicht hätte stattfinden können. Insofern sieht man im Marinefliegergeschwader 5 den SAR-Dienst nach wie vor als eine tragende Säule im Aufgabenspektrum des Verbandes.

Eine ebensolche tragende Rolle läßt sich auch auf die Seaking übertragen. Ursprünglich ab Mitte der neunziger Jahre durch das Marine-Derivat des "NH 90" zur Ablösung vorgesehen, wird sie nun aufgrund der sich ständig verzögernden Entwicklung und Einführung des Nachfolgemusters auf jeden Fall bis zum Jahr 2012 in Dienst gehalten. Zu diesem Zweck werden bereits in diesem Jahr die ersten Hubschrauber zur Industrie abgegeben und mit einigen neuen Geräten ausgestattet. Unter anderem ist der Einbau eines Wärmebildgerätes, einer GPS-Anlage (bisher verfügen nur einige wenige Maschinen über ein ziviles Stand-Alone-Gerät der 1. Generation) sowie einer verbesserten Avionik, die den neuen internationalen Richtlinien für Blindflugbetrieb entsprechen wird, vorgesehen. Aus Sicht des Verbandes besteht zwar der Bedarf für weitere Beschaffungsmaßnahmen, insbesondere im Bereich der Fernmeldegeräte, die finanziellen Beschränkungen lassen dies aber nicht zu.

Doch trotz aller Nachrüstungen ist das Material nach 25 Dienstjahren und über 110.000 Gesamt-Flugstunden eindeutig in die Jahre gekommen. Der Wartungsaufwand ist mittlerweile um ein Vielfaches angestiegen. Die schlechte Versorgungslage bei den Ersatzteilen tut ein übriges zum teilweise niedrigen Klarstand. Eine Problematik die das MFG 5 sicherlich mit vielen anderen fliegenden Verbänden der Bundeswehr teilt. Erschwerend ist darüber hinaus der Verlust eines Hubschraubers, der im November des vergangenen Jahres zu verzeichnen war. Nachdem eine Seaking infolge einer auf Helgoland nicht mehr reparablen Beschädigung als Außenlast nach Kiel überführt werden sollte, schaukelte sie sich beim Transport so derartig auf, daß der Besatzung des Transporthubschraubers nichts anderes übrig blieb, als sie aus einer Höhe von 500 Metern über der Nordsee auszuklinken.

Doch bei allen Schwierigkeiten ist man in Kiel fest davon überzeugt, den Auftragserfordernissen mit dem wahrlich nicht mehr jungen "Seekönig" auch in Zukunft gerecht werden zu können. Fragt man die Besatzungen zum Seaking, so sind sie zumindestens alle einhellig von ihrem Gerät überzeugt. Für sie ist die Seaking Mk41 nach wie vor einer der leistungsfähigsten Such- und Rettungshubschrauber der Welt, der auch im Jahre 2008, wenn die Kieler Marineflieger ihr fünzigjähriges Bestehen feiern, das Rückgrat des Such- und Rettungsdienstes der Deutschen Marine sein wird.

Anlage

Aufgaben des SAR-Dienstes in der gültigen Fassung:

· Unterstützung der eigenen, verbündeten und befreundeten Streitkräfte,

· Hilfeleistung für alle in Not geratenen Luftfahrzeuge als Teil des nationalen Such- und Rettungsdienstes,

· Unterstützung des Seenotrettungsdienstes in den Seegebieten vor der deutschen Nord- und Ostseeküste,

· Unterstützung des zivilen Rettungsdienstes (dringende Nothilfe), sofern militärische Aufgaben und Erfordernisse des SAR-Dienstes für die Luftfahrt dem nicht entgegenstehen und solange freie Kapazitäten vorhanden sind,

· Unterstützung des Rettungsdienstes der Länder in der Luftrettung durch Abstellung von Rettungshubschraubern.

(Quelle: Broschüre "Search and Rescue - Der Such- und Rettungsdienst", herausgegeben vom Presse- und Informationsstab des Bundesministeriums der Verteidigung, Oktober 1998)

Zum Verfasser:

Korvettenkapitän Jens Nemeyer (Crew VII/84) ist Hubschrauberführer auf Seaking Mk 41 und Staffelkapitän der 1. Staffel des Marinefliegergeschwaders 5. Vor seiner jetzigen Verwendung war er u.a. im PEP mit der Royal Navy und als Einsatzoffizier und Fluglehrer der Ausbildungseinheit im MFG 5 eingesetzt. Zuletzt war er Teilnehmer des 38. ASTO an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg.

Fotos (werden nachgeliefert):



Quellen:

(1) Vgl. Berend Burwitz, "Auf Leben und Tod", Zeitschrift Wehrausbildung, Ausgabe 1/1994, S. 44

(2) Vgl. Utz Hennig, Rainer Tilly, Achim Wiese, "Das Marinefliegergeschwader 5", in "Marine-Flieger", Herausgeber Deutsches Marine Institut, Verlag E.S. Mittler & Sohn, Herford/Bonn, 1988, S. 113

(3) Vgl. Anonym, "Sycamore Bristol 171 B schwebte ein", Braunschweiger Zeitung vom 19.11.1958

(4) Vgl Utz Hennig, Rainer Tilly, Achim Wiese, "Das Marinefliegergeschwader 5", ebenda, S. 117

(5) Schlagzeile des Wilhelmshavener Morgenblattes vom 14.11.59

(6) Vgl. Anonym, "Dr. Lemke besuchte Pellworm", Artikel in den Kieler Nachrichten vom 09.03.63

(7) Davon 2 Minensuch- und 5 U-Jagdhubschrauber. Administrativ und technisch dem MFG 5 unterstellt, bildeten diese 7 Hubschrauber die 1. Staffel des im Aufbau befindlichen MFG 4. Anfänglich in Kiel, später in Westerland beheimatet wurden hiermit die ersten taktischen Einsätze zusammen mit den Einheiten der Flotte geflogen. Die problematische Entwicklung des MFG4 und die mittelfristige Finanzplanung führten 1968 zur Auflösung der 1./MFG4. Personal und Material gingen in das MFG 5 über.

(8) Seit April 1971 steht darüber hinaus auch ein Seefernaufklärer vom Typ Breguet Atlantic im Nordholzer MFG 3 für den SAR-Dienst als Rettungsmittel 1. Grades in dreistüngiger Bereitschaft.

(9) Vgl. Berend Burwitz, a.a.O., S.44

(10) Auszug aus dem SAR-Einsatzplan Marine des Flottenkommandos in Glücksburg.

(11) Als einzige Quelle für den vorhergehenden Zeitraum stand dem Verfasser lediglich die staffeleigene Chronik zur Verfügung. Diese besagt, daß bis Januar 1967 1127 Einsätze geflogen worden waren. Davon entfielen 445 auf SAR-Einsätze, 216 auf Krankentransporte, 345 Einsätze im Eisnotdienst und 121 Kataspropheneinsätze. Dabei wurden insgesamt 121 Menschen aus Lebensgefahr gerettet.

(12) Vgl. Jahresbericht 1966 des militärischen Such- und Rettungsdienstes des Luftwaffenamtes - Inspektion Kampfverbände der Luftwaffe vom 28.02.67

(13) Vgl. Helwin Scharn, "Rescue - Made in Kiel", Zeitschrift "Flugzeug", Ausgabe 5/1997, S.48

(14) Vgl. Herman Neuber, "Mayday - Mayday ...", Bernard & Gräfe Verlag, Koblenz 1988, S. 28

(15) Vgl. Utz Hennig, Rainer Tilly, Achim Wiese, "Das Marinefliegergeschwader 5", a.a.O., S. 118

(16) Vgl. Helwin Scharn, a.a.O., S. 48f