Der neue Sea King

Modernisierungsprogramm zum Erhalt der Einsatzfähigkeit

veröffentlicht in "Soldat und Technik" 09/2000
von Fregattenkapitän Jürgen Losch

Das Marinefliegergeschwader 5 in Kiel feiert in diesen Tagen das 25-jährige Dienstjubiläum des Seenotrettungsdienstes mit dem Hubschrauber Sea King MK41. Dies sei Anlass für einen Blick in die Zukunft. Diesmal nicht wie so oft in solchen Fällen aus Sicht des Operateurs und Bedieners, sondern aus Sicht des Technikers und Logistikers.

Die ehemals 22 Sea King der Deutschen Marine fliegen inzwischen längst nicht mehr nur in der Hauptrolle Search and Rescue (SAR). Neue Herausforderungen wie Evakuierungsoperationen und insbesondere die Einsätze des Sea King als Bordhubschrauber der neuen Einsatzgruppenversorger stehen auf der Tagesordnung. Dabei wird es wohl noch mindestens 12 Jahre dauern, bis der letzte der bereits heute 25 Jahre alten Westland-Hubschrauber durch den zur Zeit in der Entwicklung stehenden neuen Hubschrauber, den Marinehubschrauber 90 (MH90), ersetzt werden kann. Damit 37 oder mehr Dienstjahre bei gleichzeitig gestiegenen Anforderungen für diesen Hubschrauber überhaupt realisiert werden können, sind in den nächsten 5 Jahren noch eine ganze Reihe von Hürden zu nehmen, die in diesem Artikel erläutert werden sollen. Doch zunächst

ein Blick zurück
Der Sea King MK41 löste 1972 als damals modernster Seenotrettungshubschrauber der Welt das Vorgängermodell H34 ab und hat bereits ein größeres Modernisierungsprogramm hinter sich, das als Einzelvorhaben im Rahmen einer Kampfwertsteigerung (KWS) Mitte 1987 begann. Damals wurde das Radargerät Sea Spray MK3, die Radarwarnanlage AN/ALR 68, die Chaff-/Flareanlage M-130 sowie die Waffenanlage für den Lenkflugkörper Sea Skua eingerüstet. Der letzte KWS-Hubschrauber kam erst Mitte 1996 aus der Umrüstung.

Im Jahr 1998 verlor das Geschwader einen Sea King bei einem Außenlasttransport an einer CH 53 des Heeres vor Helgoland, so dass jetzt noch 21 Hubschrauber im Buchbestand stehen.

Näheres zum Verlust der 89+59

Wo stehen wir heute?
Der insgesamt noch zufriedenstellende technische Zustand des Waffensystems darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Instandsetzungsaufwand im Verband zugenommen hat. Die Störbehebung ist komplexer und zeitaufwendiger geworden, die Ersatzteilversorgung wird immer schwieriger.

Bei einem Jahresflugstundenprogramm von z.Zt. 4200 Flugstunden altert jede Zelle der Sea King-Flotte im Mittel jährlich um 200 Stunden. Die Zellen haben jetzt ein Alter zwischen 5000 und 6000 Flugstunden erreicht. Für die verbleibende Nutzungsdauer werden je Hubschrauber also noch über 2000 Flugstunden hinzukommen. Bereits letztes Jahr begann mit den ersten Mustereinrüstungen ein neues ehrgeiziges Modernisierungsprogramm. Gestiegene gesetzliche Auflagen, neue Einsatzherausforderungen, vor allem jedoch jahrzehntelange Alterungsprozesse und Versorgungsengpässe bei einzelnen Komponenten ließen ein weiteres Hinausschieben dieser Maßnahmen nicht mehr zu. Die Modernisierung soll im Jahre 2005 abgeschlossen werden und die Lebensdauer des Sea King bis mindestens 2012 bzw. bis zum vollständigen Ersatz durch den MH90 verlängern.

Was tut not?
Im einzelnen setzt sich das Modernisierungsprogramm aus folgenden Maßnahmen zusammen, die bei der Betreuungsfirma Eurocopter Deutschland in Donauwörth durchgeführt werden:

Funk/FLIR-Paket

l GMDSS-DSC Seenotrettungssystem

l HF-9000 Funksprechanlage

l FuG 8b Behördenfunkgerät

l EPIRB Seenotfunkboje

l STR 2000 IFF-Gerät

l Wärmebildgerät (FLIR)

Mustereinbau FLIR im Aug. 2000

Die o.g. Komponenten der Funkanlage müssen aufgrund gesetzlicher Auflagen und neuer STANAG-Standards ersetzt werden. So erhält die neue HF-Sprechfunkanlage eine feinere Frequenzrasterung, das neue Behördenfunkgerät eine andere Kanalauslegung und die modernisierte IFF-Anlage wird wieder dem NATO-Standard entsprechen. Das in der Seefahrt querschnittlich eingeführte Seenotrettungssystem GMDSS und die Seenotfunkboje werden als Sicherheitsvorsorge für den Seenotfall eingerüstet. Einen dringend erwarteten operativen Fortschritt bei der Ortung in See wird das neue, auch in dem Seefernaufklärungs- und U-Jagdflugzeug Breguet Atlantic und in der zukünftigen Marinedrohne verwendete Wärmebildgerät (Bild 1) erzielen.

Navigations-Paket

l AN/ASN 175 CUGR GPS-Navigationsanlage

l CMA-806B Doppler-Navigationsanlage

l MFD 255 M Multifunctional Display

Die GPS-Anlage schließt die durch das Abschalten der DECCA-Sender entstandene Lücke. Das alte Doppler-Navigationsgerät musste ersetzt werden, weil es logistisch nicht mehr versorgbar war. Hervorzuheben ist die Integration der neuen Navigationsanlage in ein modernes Monitor-Display im Cockpit (siehe Bild 2).

Mit dieser neuen Navigationsanlage wurden die gesetzlichen Auflagen zur Flächennavigation erfüllt. Das Waffensystem Sea King ist hier für die Bundeswehr ein Vorreiter.

Neuverkabelung/Scheibenwischer-Paket

l Neuverkabelung mit neuem Kabelmaterial

und neuen Verbindungselementen

l elektrischer Scheibenwischer

Die 25 Jahre Flugbetrieb über See haben beim Sea King deutliche Spuren an der Verkabelung hinterlassen. Die Kabelummantelung ist brüchig geworden (siehe Bild 3). Das Ein- und Ausbauen von Geräten bei Störbehebung erzeugt so immer öfter Folgefehler mit langwieriger Fehlersuche. Aus Sicht der Flugsicherheit und zur Vermeidung unverhältnismäßig aufwendiger Störbehebungen stellt die Neuverkabelung aller Hubschrauber sozusagen den „harten Kern“ des Modernisierungsprogramms dar - und zugleich den teuersten Anteil! Alle Kabel müssen hierzu übrigens erst einmal in einem Kabelplan aufwendig erfasst, identifiziert und dokumentiert werden. Zugleich wird ein Großteil der Verbindungselemente wie Buchsen und Stecker erneuert.

Zusammen mit den neuen Kabeln erhält der Hubschrauber einen elektrischen Scheibenwischerantrieb als Ersatz für den hydraulischen (!).

Umrüstvorhaben im Geschwader

l VOR/ILS-Navigationsmittel NR 900 (1) 10

l ELS Notschmiersystem Hauptgetriebe

l Modifikation Hauptarbeitszylinder

l Zyklenzähler Triebwerk

l EAPS-Luftfilter Triebwerke

l aerodynamisches Luftleitblech

l wasserdichter Kabinenboden

Schließlich werden in den nächsten Jahren noch eine ganze Reihe von Einzelvorhaben im Geschwader umzusetzen sein, sei es in Form von Retrofit-Lösungen oder Durchführungen sonstiger TA (Technischer Anweisungen). Hier seien stellvertretend genannt der Einbau von Hauptgetrieben mit einem neuen Notschmiersystem, von Zyklenzählern zur besseren Abschätzung der tatsächlichen Alterungsprozesse an den Triebwerken und von Luftfiltern für die Triebwerke. Bild 4 zeigt einen Sea King bei der Erprobung eines solchen „Sandfilters“.

Höchste Zeit wird es auch für den Ersatz des alten, brennbaren und im Laufe der Jahre undicht gewordenen Kabinenbodens durch einen neuen, wirklich wasserdichten, um z.B. beim Bergen „nasser“ Schiffbrüchiger ein Eindringen aggressiven Meerwassers in die elektronischen Geräte zu verhindern. Außerdem wird noch dringend eine Einstiegshilfe an der Laderaumtür für die schnelle Evakuierung vieler Personen benötigt.

Es soll für Sea King nur noch das zwingend Notwendige in Angriff genommen werden. Viele sinnvolle Forderungen, wie die nach einer Laser-Navigationsplattform oder einer modernen bedrohungsgerechten Radarwarnanlage können wohl nicht mehr realisiert werden.

Das Dilemma
Für die Maßnahmen dieses umfangreichen Modernisierungsprogramms konnte seinerzeit keine Nutzungsdauerverlängerung als eigenständiges EBMat-Vorhaben realisiert werden. Deshalb sind jetzt eine Vielzahl von Einzelvorhaben (sowohl nach dem Verfahren „Änderung an Wehrmaterial“ als auch EBMat) mit unterschiedlichstem Vorhabenmanagement zu koordinieren. Unbedingt zu beachten gilt hierbei: Die Einschiffung von Bordhubschraubern auf den Einsatzgruppenversorgern parallel zur Abstellung von Sea Kings auf die beiden SAR-Außenstellen und zusätzlich zu dem TCTP-Übungsflugbetrieb auf dem Heimatflugplatz sowie das Bereithalten von Hubschraubern für Aufträge des Flottenkommandos erfordern im Verband einen Mindest-Verfügungsbestand. So können z.B. für die Umrüstanteile außerhalb des Verbandes in den nächsten Jahren nur maximal 5 Hubschrauber gleichzeitig abgestellt werden. Dies verlangt wiederum von den einzelnen Vorhabensverantwortlichen intensive Kooperation und Abstimmung, um die jeweiligen Geldmittel und die technische Umsetzung der verschiedenen Vorhaben für jeden einzelnen Hubschrauber in je einer einzigen Umrüstphase zu bündeln. Besonders schwierig gestalten sich dabei die Phasen der Amts- und Truppenerprobungen, zumal hier jeder Zeitverzug die Serienverträge und damit den geplanten Programmablauf gefährdet.

Der Plan
Bevor das Modernisierungsprogramm „in Serie geht“, werden sogenannte Musterumrüstungen durchgeführt, die den Nachweis der Funktionstauglichkeit der Einzelmaßnahmen erbringen sollen. Die Musterumrüstungen werden in drei „Paketen“ durchgeführt, dem

  • Navigations- Paket (mit Doppler u. GPS)
  • Funk / FLIR - Paket
  • Neuverkabelungs-Paket,

und sollen bis Mitte 2001 abgeschlossen sein. Der größte Teil der Serieneinrüstung erfolgt dann für jeweils alle Maßnahmen gemeinsam, zumeist kombiniert mit einer periodisch sowieso fälligen Änderungsüberholung bei der Firma Eurocopter Deutschland in Donauwörth. Jede dieser Komplettumrüstungen wird ca. 14 Monate dauern. Das gesamte Programm läuft bis Ende 2005.

Forderungen an das Management
Das Marinefliegergeschwader 5 steht im 25sten Jahr des Sea King-Einsatzes vor großen Herausforderungen, insbesondere durch die Einschiffungen auf dem neuen Einsatzgruppenversorger, und ist auf das Gelingen des Modernisierungsprogramms zum Erhalt der Einsatzfähigkeit angewiesen. Dazu muss eine mehrjährige schwierige Phase mit reduziertem Verfügungsbestand überstanden werden, auch wenn dies sicherlich manchmal sehr schmerzhaft sein wird. Es gibt keine realistische Alternative, da das Nachfolgemodell, der MH90, nach heutigem Kenntnisstand noch lange nicht zur Verfügung steht.

Um so wichtiger ist deshalb in den nächsten Jahren ein Vorhabenmanagement aus einem Guss. Das langsamste Einzelvorhaben darf nicht alle anderen gefährden. Allen Vorhabenverantwortlichen sollte bewusst sein, dass das Schieben von Vorhaben oder deren Aufteilung in Lose, beides so gerne angewandte Maßnahmen um der Haushaltsmittelsituation gerecht zu werden, das Gesamtvorhaben gefährden und nur allzu leicht suggerieren könnten, hier sei noch etwas disponibel.

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Fregattenkapitän Jürgen Losch ist seit 1999 Kommandeur der Technischen Gruppe des Marinefliegergeschwaders 5.